Anlass meiner Gedanken ist eine heutige Diskussion über Gott und Liebe (die allerheiligste, alle Wesen verbindende Liebe), Konflikt oder Gemeinsamkeit, und „religiöse Schuld“.
Schuld wird schon seit Adam und Eva und deren Verzehr dieses unheilvollen Apfels vom Baum der Erkenntnis mit Religion verbunden. Haben wir doch, laut der katholischen Kirche, alle deren Schuld als Erbsünde mit uns herumzutragen. Gott erkennen zu wollen ist nach wie vor das größte Vergehen, das sich ein Mensch zuschulden kommen lassen kann. Um diese Erkenntnis werden Kämpfe bis aufs Messer ausgetragen, Wahrheit wird immer im Sinne der Machthaber verdreht, selbst wenn’s um kleinere Dinge als um Gott geht. Erkenntnis war immer schon gefährlich. Erkenntnis ist eine Hauptantriebskraft jeder Revolution, jeder gesellschaftlichen Veränderung. Erkenntnis ist die nagende Kraft am Thron jeder Macht.
Der Gott des biblischen Paradieses wollte seine Macht nicht verlieren. Er zog es vor, die Gattung Mensch aus seinem Paradies zu vertreiben. Die Gattung Mensch ist in seinen Augen schuldig geworden. Aufgrund der Identifikation mit dem Aggressor (psychoanalytischer Begriff) fühlen sich die Menschen immer noch so. In ihrem kindlichen Gemüt haben sie die Vorstellung eines machtvollen, unangreifbaren Gottes erschaffen, der sie Kinder bleiben lässt, ja es sogar von ihnen verlangt. Sie haben diesem Gott, als einzigem erwachsenem Wesen, jede Verantwortung übertragen. Um verantwortungslose Kinder bleiben zu dürfen, wurde im Namen dieses allmächtigen Gottes die Erkenntnis verteufelt, das einzige Mittel, das die neugierige Erkundung der Welt und das Abenteuer des Erwachsenwerdens wieder starten könnte.
Nun haben sich die Menschen seit ihrer Vertreibung aus dem Paradies schon viel getraut. Ihre Neugier bezüglich der Erkundung der Materie kennt fast keine Grenzen mehr. Das Tabu der Erkundung im geistigen Bereich ist aber geblieben, oder zumindest immer noch sehr groß, so dass die Kluft zwischen materiellem und geistigem Wachstum immer tiefer wird. Materiell „Alleskönner“ und geistig Kinder eines alles könnenden Gottes. Da passt doch etwas nicht zusammen. Das macht uns krank, macht uns seelisch und körperlich krank. Ein zerstörerischer Konflikt in uns und um uns, der sich in unserem Umgang mit der Welt widerspiegelt.
Wollen wir ein Paradies, was die Erde eigentlich ist, als erwachsene Wesen miterschaffen? Dann müssen wir uns trauen, auch geistig erwachsen zu werden. Wir müssen es schaffen, den zerstörerischen Konflikt in uns zu überwinden, Frieden und Harmonie in uns und um uns wieder entstehen zu lassen. Wir müssen uns trauen, mit der „religiösen Schuld“ aufzuräumen. Wir müssen uns trauen, wieder am Thron Gottes zu nagen, ihn erkennen zu wollen. Uns trauen, alle Äpfel vom Baum der Erkenntnis zu essen.
Denn solange wir Gott nicht erkennen, werden wir uns als seinesgleichen nicht erkennen können.
Die Frage, wer oder was ist Gott, ist die Schlüsselfrage für eine vereinte Menschheit.
Fast jeder Krieg ist nur durch „religiösen Missbrauch“ von Seiten der Machthaber zustande gekommen. Doch so, wie wir uns immer mehr von sexuellem Missbrauch befreien, sollten wir uns auch von „religiösem Missbrauch“ befreien. Erwachsene Menschen werden keine Machthaber brauchen, die das Recht haben, sie in irgendeinen Krieg zu treiben. Sie werden aber auch keinen machtvollen Gott brauchen, der das Recht hat, sie aus dem Paradies zu vertreiben. Erwachsene Menschen werden verantwortungsvoll mit unserem Paradies, mit der Erde umgehen, die sie täglich geistig miterschaffen.
(verfasst am 17.12.2004)